Forschungsthema

Kurze Darstellung des Forschungsthemas

Der Stand der Forschung in der einschlägigen Fachliteratur zum Thema „E-Mobilität“ ist dadurch gekennzeichnet, dass hauptsächlich die Konstruktion von Elektroautos und die zugehörige technische Infrastruktur erörtert werden. Zwar wird oftmals erwähnt, wie wichtig die Anschaffungs- und die Betriebskosten für die zukünftige Entwicklung des Elektroautos sind, jedoch wird das betriebswirtschaftlich entscheidende Nutzen-Kosten-Verhältnis von Elektroautos nicht oder allenfalls in rudimentärer Weise betrachtet. Der Einsatz von Elektroautos bleibt in den vorherrschenden Darstellungen, die vornehmlich auf die „Weltsicht“ von Ingenieuren ausgerichtet sind, aus Sicht der Betriebswirtschaftslehre bis heute ein weitgehend unerforschtes Gebiet. Daher ist es großenteils noch unbekannt, wie sich der Einsatz von Elektroautos auf den wirtschaftlichen Erfolg von Unternehmen auswirkt.

Darüber hinaus wird das Thema „E-Mobilität“ überwiegend aus der Perspektive des Personenverkehrs behandelt. Der Einsatz von Elektrofahrzeugen im gewerblichen Güterverkehr, d.h. von Elektro-Lkw, wird in der einschlägigen Fachliteratur kaum aufgegriffen. Die noch seltenen Beiträge, die sich im Hinblick auf den gewerblichen Güterverkehr mit dem Thema „E-Logistics“ befassen, konzentrieren sich auf die Beiträge von betriebswirtschaftlichen Konzepten des E-Business, nicht jedoch auf die betriebswirtschaftliche Beurteilung des Einsatzes von Elektro-Lkw im gewerblichen Güterverkehr.

Hinsichtlich des Aspekts regionaler Güterverteilerverkehre existiert zwar eine einschlägige Fachdiskussion, die sich unter das Thema „City Logistics“ subsumieren lässt. Diese Forschungsrichtung gilt als umstritten, weil sich die ursprünglich avisierten Fortschritte, insbesondere mithilfe von unternehmensübergreifenden Bündelungseffekten, in der betrieblichen Realität kaum realisieren ließen. Im Kontext des hier beantragten Projekts ist vor allem herauszustellen, dass in Publikationen zum Thema „City Logistics“ der Einsatz von Elektrofahrzeugen im gewerblichen Güterverkehr bislang noch nicht in nennenswertem Umfang analysiert wurde.

Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass in der einschlägigen Fachliteratur zum Kombinierten Verkehr dessen ökologische Vorteilhaftigkeit gegenüber reinen Lkw-Transporten zwar immer wieder betont wird. Aber der kontraproduktive Beitrag des Einsatzes von Lkw mit (vorwiegend) Dieselantrieb im Vor- und Nachlauf wird kaum thematisiert, sondern anscheinend als „unvermeidliches Übel“ stillschweigend akzeptiert. Der Einsatz von Elektro-Lkw auf der „ersten“ oder „letzten Meile“ des Kombinierten Verkehr hat bislang im Stand der Forschung noch kaum Beachtung gefunden.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der Stand der Forschung derzeit keine verlässlichen Erkenntnisse zur wirtschaftlichen Beurteilung des Einsatzes von Elektro-Lkw für die regionalen Güterverteilerverkehre im Vor- und Nachlauf des Kombinierten Verkehrs bietet.

Um diese Wissenslücke zu schließen, bedarf es einer betriebswirtschaftlich verlässlichen Nutzen-Kosten-Analyse, um den Einsatz von Elektro-Lkw für die regionalen Güterverteilerverkehre im Vor- und Nachlauf des Kombinierten Verkehrs zu beurteilen. In methodischer Hinsicht existieren zwar durchaus Ansätze für eine solche Beurteilung. Dazu gehören vor allem Kostenvergleichsrechnungen, Scoring-Methoden sowie Cost-Effectiveness-Analysen. Die Kostenvergleichsrechnungen, die in der betrieblichen Praxis weit verbreitet sind, leiden unter der Ausblendung von Nutzenaspekten und führen daher zu einer systematischen Verzerrung der Beurteilungsresultate. Scoring-Methoden sind zwar darauf zugeschnitten, insbesondere auch Nutzenaspekte in ein betriebswirtschaftliches Entscheidungskalkül einzubeziehen, leiden jedoch unter erheblichen Manipulationsmöglichkeiten (z.B. in Bezug auf willkürlich festlegbare Kriteriengewichte und Schwellenwerte für Scoring-Skalen) sowie unter einem unvermeidbaren „Skalenbruch“ anlässlich der Transformation ordinaler Bewertungsurteile für einzelne Bewertungskriterien in kardinal aggregierte Gesamturteile. Cost-Effectiveness-Analysen zeichnen sich zwar dadurch aus, dass sie sowohl Kosten- als auch Nutzenaspekte („Effectiveness“) berücksichtigen. Sie finden jedoch in der betrieblichen Praxis kaum Berücksichtigung, weil sie primär auf volkswirtschaftliche Kosten- und Nutzenerwägungen zugeschnitten sind und daher für betriebliche Praktiker weitgehend „unverständlich“ wirken. Aus den vorgenannten Gründen besteht ein signifikanter Mangel an einem Konzept für Erweiterte Wirtschaftlichkeitsanalysen, die drei Anforderungen erfüllen. Sie müssen erstens neben Kosten- auch Nutzenaspekte umfassen, und zwar in möglichst zahlreichen Nutzendimensionen (Desiderat der Ganzheitlichkeit). Dies betrifft z.B. die Umweltverträglichkeit von Gütertransporten, den Reputationsgewinn eines Logistikdienstleisters aufgrund seiner Orientierung an Maximen der „Green Logistics“ mit entsprechenden Auftragsakquisitions- und Mehrerlöspotenzialen sowie die Kompatibilität mit hoheitlich vorgegebenen Restriktionen, wie etwa emissionsbedingten Fahrverboten in Innenstadtbereichen für Lkw mit Dieselantrieb. Zweitens müssen die Erweiterten Wirtschaftlichkeitsanalysen an die Bedürfnisse der betrieblichen Praxis hinsichtlich Begrifflichkeiten sowie Kostenarten und Nutzendimensionen angepasst sein, um hinreichende Akzeptanz finden zu können (Desiderat der Praktikabilität aus Unternehmenssicht). Drittens ist es erforderlich, dass die Erweiterten Wirtschaftlichkeitsanalysen an die speziellen Kontextbedingungen des Einsatzes von Elektro-Lkw für die regionalen Güterverteilerverkehre im Vor- und Nachlauf des Kombinierten Verkehrs angepasst sind (Desiderat der Spezifität für E-Logistics).